Theras letzter Tag
Abenteuerroman für Kinder ab 12 Jahren
Klappentext:
Eine Mischung aus Grauen und Faszination überkommt die Geschwister Konni und Dennis bei ihrer magischen Zeitreise, als sie sich auf die Suche nach dem versunkenen Inselreich Atlantis in der Nähe einer qualmenden Vulkaninsel aufwachen. Die Kinder müssen mit dem Schlimmsten rechnen, denn nach einer Prophezeiung soll die Insel schon am Abend im Meer untergehen. Was sie zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht ahnen: Noch andere Gefahren lauern in der bronzezeitlichen Handelsmetropole. So herrscht auf der Insel ein grausamer Kult, der das Leben unschuldiger Menschen bedroht. Kann ihnen der griechische Seher Theresias dabei helfen, den Wahn der Menschen stoppen, bevor die Flut über die Insel hereinbricht? Ein spannender Wettlauf gegen die Zeit beginnt.
Leseprobe
(.../...)
Eine Insel erwacht zum Leben
Als die Geschwister es wagten, wieder die Augen zu öffnen, standen sie mitsamt ihrer Eiche auf dem Gipfel eines bewaldeten Berges. Konni trug ein buntes Gewand, Dennis einen einfachen Schurz um die Hüfte und darüber einen Leinenumhang, der mit einer Kordel zusammengehalten wurde. Beide hatten einfache Ledersandalen an den Füßen, Konnis Haare waren kunstvoll geflochten und sie trug bunten Perlenschmuck an Hals und Armen. Völlig fasziniert schauten sie sich um. Es kam ihnen ganz und gar unvorstellbar vor, was ein einziger Spruch bewirken konnte- sie hatten eine komplett andere Welt betreten! Es schien noch früh am Morgen zu sein, denn die Sonne stand tief über dem Horizont. Bestimmt war es nicht später als sechs Uhr morgens. Dennis stand bewegungslos und beinahe noch wie in Trance da.
„He!“, flüsterte Konni und stieß ihn kräftig in die Seite. „Alles O.K. mit dir?“
Dennis horchte angestrengt. Nichts war zu hören, sie schienen allein zu sein. Die Eiche stand derart felsenfest, als wäre sie nie an einem anderen Ort gewesen. Er atmete tief durch. Kaum aber sah er an sich selbst hinunter sah, fuhr er entsetzt zusammen.
„Mein Gott- wie sehe ich bloß aus?“, entfuhr es ihm fassungslos. „Sollen das Kleider sein? Nicht mal eine richtige Hose habe ich an! Und dann dieser Umhang…“ Er untersuchte ihn mit Argusaugen, dann stellte er verächtlich fest: „Oben sehe ich aus wie ein Mönch und unten wie ein Feldarbeiter.“ Er warf einen Blick zu seiner Schwester und musterte sie. „Na ja, wenigstens du siehst ganz passabel aus“, fügte er anerkennend hinzu.
Konni nickte. „Mein Kleid ist O.K., und der Schmuck sieht super aus! Bis auf diese blöden Sandalen bin ich zufrieden. Doch du…“ Sie brach in haltloses Gelächter aus.
„Dennis!“ stieß sie japsend hervor. „Du siehst einfach irre aus- mit deinem Lendenschurz und dem Umhang wärst du das Highlight bei unserer nächsten Kostümfeier in der Schule. Einfach genial!“
Amüsiert wischte sie sich die Tränen aus den Augen. Dennis sah zwar nicht gerade begeistert aus, doch er trug Konnis Spott mit Fassung. Schließlich war es auch egal, was seine Schwester von seiner Kleidung hielt: Hauptsache, er fiel damit an diesem Ort nicht auf. Doch wo waren seine Sachen? Er blickte suchend zu Boden und entdeckte seinen Rucksack direkt neben dem noch aufgeschlagenen Zauberbuch.
„Unser Gepäck ist mitgereist!“, stellte er zufrieden fest und warf einen prüfenden Blick hinein. „Alles noch da, sogar das Fernglas!“, rief er erleichtert.
„Der Zauber scheint zu wissen, was wir hier benötigen“, meinte Konni triumphierend und half Dennis, das Buch wieder im Rucksack zu verstauen. „Übrigens- der braune Rucksack passt richtig gut zu deinem Umhang, Dennis- gar nicht schlecht.“
Die Kinder warfen sie einen Blick auf die zauberhafte Landschaft, die sie umgab. Sie befanden sich inmitten eines urwüchsigen Mischwaldes, der von Zedern, Kiefern, Eichen und Zypressen dominiert wurde. Ein kleiner Bach entsprang aus einer Felswand und schlängelte sich den Berg hinab. Die Kinder folgten ihm und gelangten zu einer Waldeslichtung. Zwischen hohen Kiefern und Zypressenwipfel schimmerte eine versprengte Gruppe von Sandsteinhäusern hindurch. Es waren kleine, bäuerliche Anwesen, in deren Umgebung Schafe und Ziegen weideten. Weiter unten fiel der Blick auf malerische Berghänge, an denen Wein wuchs. Im Tal selbst prägten Oliven- Obst- und Mandelhaine sowie wild wachsenden Blumen- und Kräuterwiesen das Bild der Landschaft. Keine Frage- sie waren in einem Paradies gelandet!
Dennis ging etwas näher auf die Lichtung zu und spähte hindurch. Jetzt fiel sein Blick auf eine prunkvolle Stadt, die sich tief unter ihnen erstreckte. Konnte das Atlantis sein? Er nahm das Fernglas aus seinem Rucksack und betrachtete die stattlichen Bauten. Noch nie hatte er so viele stolze Villen auf einem Fleck gesehen! Im Zentrum der Metropole standen die höchsten und prachtvollsten Monumente. Einige davon besaßen große, von schwarzen und roten Säulen gestützte Vorhallen, die so weitläufig waren, dass man sich darin hätte verlaufen könnte. Inmitten der Insel, umgeben von zwei Flüssen, schimmerten ein goldfarben Palast und eine imposante Tempelanlage um die Wette.
„Wow!“, entfuhr es Dennis überwältigt, nachdem er endlich die Sprache wieder gefunden hatte. „Das ist ja unglaublich.“
„Lass mich auch mal hindurch sehen“, bedrängte ihn Konni.
"Moment noch!" Dennis zoomte mit dem Fernglas den goldfarbenen Palast näher, dessen rote, schlanke Säulen einen interessanten Kontrast zu den stattlichen Säulen des offenen Tempelgebäudes bildeten. Die Stadt, die etwa in der Mitte der Insel lag, war von hohen Bergen umgeben. Eine schroffe Felsenküste fiel steil ab, und dahinter überstrahlte das leuchtende Blau des Meeres alles andere noch an Schönheit.
„Ist das toll hier!“, schwärmte der Junge und reichte das Fernglas an Konni weiter. Nicht eine Sekunde bereute er es mehr, dem Drängen seiner Schwester nachgegeben und die Reise ermöglicht zu haben. All seine Bedenken schrumpften auf ein Minimum zusammen beim Anblick der Insel.
Auch Konni sog alle Bilder mit großer Begeisterung in sich auf. Ihre anfängliche Sorge, der Ort könne sich als Fata Morgana herausstellen und als solcher wieder verschwinden, bewahrheitete sich dabei gottlob nicht.
„Siehst du ringsherum das Meer?“, fragte Dennis, nachdem er nach allen Himmelsrichtungen Ausschau gehalten hatte. „Das hier muss tatsächlich eine Insel sein - schau doch!“
Sie wandten den Kopf und entdeckten auf drei Seiten Meer. Hinter ihnen versperrte ein hohes Gebirge die Sicht. Die Insel hatte eine etwa ringförmige Gestalt mit einer großen, geschützten Bucht, in deren Mitte ein stattlicher Hafen lag.
„Schau mal dort drüben, wo all die Boote sind - da ist ja noch eine Insel!“, rief Konni und machte vor Freude über ihre Entdeckung einen Luftsprung. „Auch übrigens- der Berg dort hinten... der qualmt ja.“
Dennis nahm seiner Schwester das Fernglas ab, um einen näheren Blick auf die Nachbarinsel zu werfen.
Jetzt sah auch Dennis es- mitten in der Bucht vor der Küste lag eine unscheinbare, kleine Insel. Sie bestand zum großen Teil aus einem hohen, spärlich bewaldeten Berg, der im oberen Bereich kahl und steinig wurde und eine deutlich abgeflachte Bergkuppe besaß. Aus einer trichterförmigen Öffnung trat eine kleine Rauchsäule hervor. Die Kinder beobachtete fasziniert, wie die aufsteigenden, hellgrauen Rauchwölkchen den sonst makellos blauen Himmel trübten.
„Ein echter Vulkan!“, stellte Dennis mit Genugtuung fest und gab Konni das Fernglas, damit sie ihn sich in Ruhe ansehen konnte.
„Was bedeutet das, Dennis?“, fragte Konni, nachdem sie eine ganze Weile schweigend dagestanden hatte. „Wird er ausbrechen?“
„Ach, was!“, winkte Dennis ab, obgleich auch ihn ebenfalls ein ungutes Gefühl beschlichen hatte. Da er jedoch eine ganze Menge über Vulkane gelesen hatte, überwog die Freude, sein ganzes Wissen einmal unter Beweis stellen zu können.
„Weißlicher Rauch allein ist bei einem Vulkan nichts Ungewöhnliches“, erklärte er und bemühte sich, einen sachkundigen Eindruck zu erwecken. „Wenn man in Island hellen Rauch aus einem Vulkan steigen sieht, ist das zum Beispiel völlig normal.“
„Trotzdem gefällt mir das gar nicht, Dennis!“ wendete Konni ein. „Schließlich sind wir hier ja nicht auf Island, sondern auf Atlantis!“
„Du hast schon Recht, wir müssen auf jeden Fall wachsam bleiben!“, pflichtete ihr Dennis bei und fasste zusammen: „Nach dem Spruch zu urteilen, bleibt uns ein ganzer Tag Zeit, um die Insel kennenzulernen. Gegen Mittag müssen wir allerdings spätestens umkehren, sonst reicht die Zeit nicht mehr für den Rückweg. Wenn wir auf die Uhrzeit achten, können wir lange vor Einbruch der Dunkelheit wieder hier oben sein. Und in dieser Höhe sind wir außerdem vor Flutwellen ziemlich sicher.“
Konni nickte. „Einverstanden, ich werde die Uhr im Auge behalten. Aber das Zauberbuch musst du bitte nehmen - es ist viel zu schwer für mich, um es länger durch die Gegend zu tragen!“
„Weißt du was?“ meinte Dennis und nahm seiner Schwester den Rucksack ab. „Wir lassen das Buch einfach hier! Dort auf der anderen Seite findet sich bestimmt ein Versteck.“
Er zeigte auf einen großen Felshang etwa hundert Meter von ihnen entfernt. Die Geschwister nahmen ihre Sachen vom Boden und setzten sich langsam in Bewegung.
„An diese komischen Sandalen muss ich mich erst mal gewöhnen“, stöhnte Konni und folgte ihrem Bruder schwerfällig durchs Unterholz. Mühsam überquerten sie den Berggipfel und gingen zielstrebig auf die stattliche Felsformation zu, die ihnen den Blick zur anderen Seite der Insel versperrte. Im unteren Bereich war der Felsen von dichtem Gestrüpp überwuchert. Beim Näherkommen stellten die Kinder enttäuscht fest, dass es nur wenige ebenmäßige Stellen am Felshang gab - sie lagen zudem viel zu hoch und waren außerdem noch schräg, so dass ein Buch darauf nicht liegen bleiben würde. Dennis hob das Gestrüpp hoch, bis er auf eine Ebene stieß, die eine flache Ausbuchtung aufwies. Er nahm das Buch aus dem Rucksack und legte es probeweise hinein. Es schmiegte sich perfekt in die Mulde.
„Prima!“ triumphierte Dennis. „Hier findet es bestimmt niemand. Außerdem können wir den Felsen auch von weitem gut erkennen.“
Zur Sicherheit legten sie es in die wasserfeste Hülle ihrer Regenplane und kennzeichneten die Stelle mit einigen Zweigen und Ästen. Zufrieden sahen sich noch einmal um, dann wanderten sie langsam den Berg hinunter. Ein schmaler, steiniger Pfad führte in unzähligen Kurven hinab. Neugierig gingen sie der fremden Stadt entgegen, die in der Morgensonne leuchtete und in strahlender Schönheit unter ihnen lag. Immer wieder blieben sie stehen, um mit dem Fernglas die Häuser und Gebäude zu betrachten, denen sie nun Stück für Stück näher kamen.
(...)
Das dunkle Geheimnis von Thera
Theresias schüttelte energisch den Kopf. „Also, Kinder - man merkt wirklich, dass ihr nicht von hier seid!“, erwiderte er. „Kennt ihr denn gar keine Götter, die grollen und mit Gewalt in euer Leben eingreifen?“
„Nein", antwortete Konni entschieden. „Bei uns sind Krankheiten und Katastrophen auch gar keine Strafen.“ Dennis stieß sie unsanft in die Seite, um ihr zu verstehen zu geben, dass ihm das ganze Gespräch sauer aufstieß. Der alte Mann aber horchte interessiert auf. „Und was sind sie dann?“, fragte er beharrlich nach.
„Es sind… nun ja… es sind gewissermaßen Prüfungen, die man meistern muss“, erklärte Konni altklug. „Und wenn doch jemand Schuld an etwas hat, sollte er es zunächst einmal bereuen und es danach nicht wieder tun“, fügte sie hinzu, als zitiere sie die letzte Sonntagspredigt.
Theresias schwieg. „Mehr nicht?“, fragte er ungläubig. „So leicht lassen sich eure Götter beeindrucken?“
Konni nickte, während Dennis genervt die Augen verdrehte. Das ganze Gespräch kam ihm seltsam absurd vor.
„Welcher Irrglaube!“, schnaubte der Seher missbilligend. "Die Götter schauen nicht in unser Herz, nur auf die Opfer, die wir bringen." Er blieb stehen und lehnte sich erschöpft gegen seinen Stab. "Nun gut, Ihr seid von weit gereist. Ein jedes Volk hat Recht auf seine eigenen Bräuche", fügte er dann friedfertig hinzu.
Während sie weitergingen, hakte sich Theresias bei den Kinder vertraulich unter. Dann fuhr er fort:
„Nun hört, was dann geschah! Der dunkle Geist, er ließ den Menschen keine Ruhe mehr. Nachdem man ihm das Opfer vorenthielt, erschien er jenem Priester wieder und wieder. Jedes Mal traf die Insel eine neue Katastrophe. Einmal war es eine Flut, ein anderes Mal eine Seuche. So wuchs die Angst von Tag zu Tag."
"Und was dann?", fragte Konni betroffen.
„Wir nennen ihn seither den Minotaurus“ erklärte der Seher. "Zur Hälfte ist er ein Dämon, zur anderen ein bestialisches Tier, einem wilden Stier ähnlich, doch viel gefräßiger als jeder Löwe. Und seit er nach Kaphtor kam, ist nichts mehr wie zuvor. Bei jedem Naturereignis - seien es schwere Gewitter, Stürme oder Erdbeben - wenden die Priester nun die schlimmen Zeremonien an, welche der Dämon ihnen befahl. Habt ihr wirklich noch nie davon gehört?!“ Der alte Mann blieb erwartungsvoll stehen.
Konni unterdrückte ein Gähnen. Sie hatte keine Ahnung, wovon Theresias sprach. Die weit schweifende Ausführungen des Griechen hatten dazu geführt, dass sie das Interesse an der Geschichte verlor. Es war wie in einem antiken Theaterstück: Die Monologe nahmen kein Ende. Immer ging es um seltsam düstere Göttergeschichten. Kam dieser Mann überhaupt jemals zum Punkt?
Dennis verneinte, und der alte Mann setzte traurig fort: „Ich möchte am liebsten davon nicht sprechen, denn solche Dinge gehören immer noch zu den grausamsten Taten, die ein Volk vollbringen kann“. Er atmete tief ein und aus, dann offenbarte er bekümmert: „Stellt euch nur vor - man tötet nun auf Kaphtor tatsächlich unschuldige Menschen in den Tempeln und opfert sie den Göttern! Sogar auf dem Festland verbreitet sich seither die Lehre. Zum Glück gelang es mir bis jetzt, die Priester abzuhalten und sie mit klugen Worten zu belehren. Ich gebe mir wirklich die größte Mühe, doch ich kann nicht überall sein, um gegen all die aufkommende Verblendung einzuschreiten…“
(.../...)
„Eigentlich sollten wir uns freuen, dass wir jetzt endlich die ganze Sache herausgefunden haben", meinte Dennis und blickte ratlos ins Leere. „So können wir wenigstens nicht in eine Falle geraten.“
„Ja, du hast Recht“, antwortete Konni und bemühte sich vergeblich, das Zittern aus ihrer Stimme zu verbannen. "Trotzdem wäre es mir lieber, wir wären überhaupt nicht hier - es ist einfach zu schrecklich…“
Theresias erhob seine Augen zum Horizont, als könne er tatsächlich den qualmenden Vulkan sehen.
„Ich werde den Beistand der Götter erbitten“, meinte er und ließ sich kurz entschlossen auf der staubigen Straße nieder. Mit demütig zu Boden gerichtetem Blick begann er, eine ganze Reihe monoton klingender Verse und Gebete aufzusagen. Von Zeit zu Zeit bekräftigte er seine Worte mit eigentümlichen Handbewegungen in Richtung Himmel, was fast an eine Beschwörung erinnerte. Die Kinder sahen sich befremdet an. Obgleich sie das Gehabe des Alten für reine Zeitverschwendung hielten, konnten sie nicht umhin festzustellen, dass eine beruhigende Kraft von seinen Gebeten ausging.
Noch während Theresias in seinen monotonen Gebetssingsang vertieft war, vernahmen die Kinder ein lautes Kreischen über sich. Sie spähten hinauf und beobachteten eine große Krähe, die am Himmel ihre Kreise zog.
„Schau mal - was hat das nun wieder zu bedeuten?“, fragte Konni und erschauderte. Allmählich erschien ihr die ganze Insel voll versteckter Botschaften. Jedes Mal, wenn sie den Vulkan beobachtete, kam es ihr vor, als wolle dieser ihr mit seinen dunklen Rauchschwaden ein Zeichen geben. Auch die sich häufenden Erdbeben hatten ihre eigene, warnende Sprache. Nun diese Krähe- sie verhielt sich seltsam zutraulich. Während die Kinder sie beobachteten, ließ sie sich einmal kurz auf einem Baum neben ihnen nieder, um sogleich wieder kreisförmige Runden über ihren Köpfen zu ziehen. Während Theresias immer noch lautstark betend am Boden kauerte, kam sie immer näher an die Kinder heran. Wollte ihnen das Tier etwa mit seinem eigenartigen Geschrei eine Mitteilung machen? Konni und Dennis beobachten, wie der Vogel sich endlich in die Höhe schwang und dann in den bewaldeten Gebirgshängen der Insel verschwand.
In diesem Moment wurde ihnen bewusst, dass es das einzige Tier war, das sie auf der Insel seit langem gesehen hatten. Als Theresias seine monotone Litanei unbeirrt fortsetzte, beschlossen die Geschwister, sich für ein paar Minuten aus der Hörweite des Griechen zurückzuziehen, um ein Gespräch unter vier Augen zu führen. Unbemerkt schlichen sie zu einem nahe gelegenen Olivenhain und blieben etwa fünfzig Meter abseits des Weges stehen.
„Diese Verrückten!", schimpfte Konni und lehnte sich erschöpft gegen einen Olivenbaum. „Eigentlich wollte ich ja noch ein Andenken haben- aber wenn ich's mir jetzt überlege, dann hasse ich die ganze Insel! Lass uns nach Hause gehen, Dennis.“
Ihr Bruder verdrehte die Augen und ließ abrupt den Rucksack fallen. „Das hättest du dir wirklich früher überlegen können“, gab er unwirsch zurück. „Ich habe dir doch gesagt, dass auf dieser Insel etwas nicht stimmt. Bei all den Andeutungen der Tempelmädchen lag die Sache mit den Blutopfern doch schon fast in der Luft!“
„Sag bloß, du hast die ganze Wahrheit schon geahnt!“, stieß Konni ungläubig hervor. „Wieso hast du mir dann nichts davon gesagt?"
„Weil du es sowieso nicht hättest hören wollen!“, antwortete Dennis und trat wütend gegen einen Stein. „Du hast mich ja schon für verrückt erklärt, als ich das Thema "Mord" nur ein einziges Mal gestreift habe!“
„Jetzt hör aber auf!", erwiderte Konni. "Willst du etwa damit sagen, du hättest es die ganze Zeit über gewusst?“
Dennis schwieg und blickte betreten zu Boden.
„Also doch!", schnaubte Konni fassungslos. „Mensch, Dennis- wie konntest du die ganze schreckliche Wahrheit nur die ganze Zeit über für dich behalten?"
„Weil ich mir nicht sicher war, ob ich Recht habe!“, verteidigte er sich. „Außerdem- was hätte es denn gebracht, dir davon zu erzählen? Du hättest mir den ganzen Wahnsinn bestimmt nicht abgenommen! Und jetzt können wir nicht mehr weg. Herr Theresias braucht uns- was soll er denn ohne uns machen?“
Konni stemmte die Hände in die Seite. „Immer wird gemacht, was du willst!“, rief sie aufgebracht. „Und wenn es um etwas Wichtiges geht, dann behandelst du mich wie ein kleines Kind! Natürlich weiß ich, dass Herr Theresias uns braucht. Aber hier will ich nicht bleiben! Warum nehmen wir ihn nicht einfach mit?“
„Mit wohin?“, fragte Dennis verächtlich. „Etwa nach Hause, nach Solingen? Was bist du bloß für ein Kindskopf!“
Das war zu viel für Konni. „Das wäre immer noch besser, als wenn er hier von den Soldaten entdeckt und umgebracht wird!“, schrie sie.
„Das wird nicht passieren, solange du nicht die Nerven verlierst!“, schrie Dennis zurück. Sie schwiegen eine ganze Weile und starrten ins Leere. Endlich stellte Dennis sachlich fest: „Denk doch mal nach. Herr Theresias würde den ganzen Weg bis zur Eiche niemals schaffen. Aber selbst, wenn - was soll er denn in unserer Welt? Er kennt sich nicht aus bei uns! Zudem wissen wir nicht, ob der Zauber auch bei anderen Menschen funktioniert.“
Konni riss einen herabhängenden Olivenzweig ab und sah ihn an, als trüge er die ganze Schuld an der Misere. Es war ihr nicht in den Sinn gekommen, über die gesamte Tragweite einer gemeinsamen Flucht nachzudenken. Abgesehen von der Tatsache, dass sie nicht wusste, als wen sie ihren Eltern den Seher vorstellen sollte, war es vielleicht gar nicht erlaubt, Menschen aus der Vergangenheit in die Gegenwart zu schleusen.
„Mensch, Konni - es ärgert mich ja selbst, dass ich nicht früher auf mein Gefühl vertraut habe“, seufzte Dennis zerknirscht. „Ich könnte mich die ganze Zeit dafür ohrfeigen- doch was würde das ändern?“
Konni warf den Olivenzweig mit einer unwirschen Handbewegung zu Boden, während Tränen der Wut in ihre Augen traten. Wie hatte sie nur derart blauäugig sein können und dem Traum von Atlantis nachjagen, ohne die Zeichen zu sehen, die auf die schrecklichen Blutopfer hingedeutet hatten?
Dennis nahm ihre Hand. „Komm“, erklärte er versöhnlich. „Wir sollten uns keine Vorwürfe machen. Bestimmt macht sich Herr Theresias schon Sorgen um uns. Ich verspreche dir, sobald wir am Hafen sind, setzen wir den alten Mann auf ein Schiff. Und dann verschwinden wir!“
Konni nickte. Trotz Dennis’ Versprechen fühlte sie sich hundeelend. Ein kräftigerer Wind zog vom Meer auf und trug einen unangenehmen Geruch zu ihnen herüber. Als sie ihren Blick zum Himmel wendete, stellte sie besorgt fest, dass dunkle Schlechtwetterwolken am Horizont aufgezogen waren. Es erschien ihr, als hätten jene himmlischen Mächte, von denen der Seher gewarnt hatte, einen dunklen, hässlichen Schleier über die ganze Insel gelegt, um ihre Schönheit hohl und verderblich erscheinen zu lassen. Auch Dennis machte die Sorge, in eine ausweglose Situation geraten zu sein, schwer zu schaffen.
Das Zauberbuch hoch oben auf dem Berg, neben ihnen ein blinder, alter Mann, der ohne sie verloren war - und zu allem Überfluss der Vulkan auf der Nachbarinsel, der mit seinem schwefeliger Rauch stets allgegenwärtig war. Es war unmöglich, sich rasch aus dem Staub zu machen, doch andererseits ebenso unverantwortlich, auf der Insel länger zu verweilen. Eine unsichtbare Falle war zugeschnappt.
(...)
Der Geruch des Todes
„Zwar bin ich mittlerweile ein über alle Grenzen hinaus berühmter Mann“, erklärte Theresias nicht ohne Stolz, „doch eine Flucht aller Bewohner kann nur der König anordnen. Mittlerweile aber erscheint es mir, als bereue Minos seinen Entschluss, unser heiliges Orakel zu Rate zu ziehen. Wie kann er auf Kaphtor ausharren, während die Lage für die Menschen von Thera immer aussichtsloser wird?“
Jetzt war also alles heraus. So froh sie auch waren, die Wahrheit herausgefunden zu haben, so unwohl war ihnen zumute. Sie waren nach Atlantis gereist, um das Geheimnis der Insel zu erforschen und eine Lösung für die Bewohner zu finden. Jetzt aber drohte ihnen die Zeit einen Strich durch die Rechnung zu machen.
Konni biss sich auf die Unterlippe und sah Dennis hilfesuchend an. „Wenn ich König Minos wäre, würde ich mit Hilfe von Soldaten die Insel einfach räumen lassen!“, erklärte sie aufgebracht. „Man kann doch nicht einfach seine Untertanen im Stich lassen!"
„Du bist aber nicht König Minos“, stellte Dennis trocken fest. „Und leider besitzt du auch keine Soldaten.“
Bei ihren Überlegungen kam den Geschwistern nicht in den Sinn, dass auch sie sich inmitten der Gefahrenzone befanden. Dies wurde ihnen erst bewusst, als der alte Mann beunruhigt den Finger an den Mund legte und lauschte.
„Hört ihr auch dieses leise Stöhnen unter der Erde?“, fragte er und deutete auf den Boden. Konni und Dennis wechselten einen vielsagenden Blick.
„Also- ich höre nichts!“, meinte Dennis bestimmt.
„Weil du es gar nicht hören willst“, seufzte Theresias und nahm ihn am Arm. „Hör auf die Stimme, mein Junge!“
Dennis hasste es, wie nah der alte Mann an ihn herankam. „Welche Stimme meinen sie?“ fragte er ausweichend und löste sich aus seinem Griff.
Der Seher wurde ungeduldig. „Die Stimme, die dir sagt: "Du solltest nicht an diesem Ort sein!“, rief er leidenschaftlich aus und zeigte mit seinem Stock in Richtung Vulkaninsel. Da ertönte ein tiefes, markerschütterndes Grollen, gefolgt von einem kurzen, heftigen Erdstoß. Die Kinder warfen sich erschrocken zu Boden und blieben einige Sekunden regungslos liegen. Als sie es endlich wagten, sich wieder zu erheben, stand der Alte immer noch seelenruhig neben ihnen und lehnte gegen seinen Stab.
„Hört, hört!“, verkündete er erneut. „Die Unterwelt ist schon in Aufruhr. Ich kann den Rauch in der Luft zwar nicht sehen, doch ich rieche ihn. Glaubt mir, Kinder: Es ist der Hauch des Todes, der schon jetzt über dieser Insel liegt.“
Konni und Dennis sahen sich verstört an. Ihre Augen hatten zu brennen begonnen, als ein scharfer, ätzender Geruch von der Vulkaninsel direkt zu ihnen herüber wehte.
(...)
Die Katastrophe beginnt
Die Spitze des gegenüberliegenden Vulkanberges war weggesprengt. Eine dunkle Rauchwolke aus Asche und Gestein breitete sich über der Insel aus und verdunkelt die Sonne. Noch spürte man keine Erderschütterung. Zu hoch hinaus hatte der Vulkan auf der Nachbarinsel Steine und Schutt in die Atmosphäre geschleudert, als dass man sofort die Auswirkungen auf Thera zu spüren bekam.
Der Schock lähmte ihnen die Glieder. So dauerte es eine ganze Zeit, bis sie erkannten, in welcher Lebensgefahr sie sich selbst in der Entfernung befanden.
Mittlerweile war es so dunkel geworden, dass man meinen könnte, es sei schon Nacht. Die Kinder wollten sich gerade wieder in Bewegung setzen, als ein tosender Ascheregen einsetzte und mit voller Wucht den Hafen von Basileia traf.
Während sie erstarrt stehen blieben und hinabblickten, peitschten Millionen kleiner Bimssteine über die Bucht. Jetzt erst wurde ihnen bewusst, dass dies nur der Anfang jeder Katastrophe war, vor der sie der Seher so oft und eindringlich gewarnt hatte.
„So habe ich es mir nicht vorgestellt!“, dachte Konni und spürte, wie ihr Herz vor Angst aussetzte.
Dennis holte geistesgegenwärtig Taschentücher aus dem Rucksack hervor.
„Hier!“ schrie er. „Nimm eins vor deinen Mund - wir müssen weg.“ Seine Stimme ging im Prasseln der Steine komplett unter. Konni blickte immer noch wie vom Donner gerührt ins Tal, ihr Gesicht war kreidebleich. Es kam ihr vor, als befände sie sich mitten in einem bösen Traum. Noch nie hatte sie solch ein Toben der Natur erlebt, nicht einmal in einem Film. Dennis ergriff ihren Arm und zog sie mit Gewalt weiter, dabei stolperte Konni und fiel hin. Ihr Bruder schrie etwas, doch sie konnte ihn nicht mehr verstehen. Mit größter Mühe rappelte sie sich wieder auf.
Das leichte Prasseln vom Anfang war zu tosendem Lärm angeschwollen. Während sie zusammen mit Dennis von Baum zu Baum rannte, um nicht von Schutt und Bimsstein getroffen zu werden, wurde ihr immer klarer, was der Seher gemeint hatte, als er verkündet hatte: „Auf Basileia sah ich Feuer und Asche regnen, bis alles vernichtet war.“
Doch wie konnte er dies vorhergesehen haben? Und was genau war das Orakel von Delphi, von dem er so oft gesprochen hatte? War der Grieche am Ende ein Prophet? Oder war er gar ein Zauberer, der die Katastrophe selbst verursacht hatte? Konni verwarf diesen Gedanken wieder, denn etwas derart Böses traute sie dem alten Mann wahrhaftig nicht zu. Nicht nach all dem, was sie zusammen überstanden hatten. Nebenbei hatte der Seher mit seinen dramatischen Göttergeschichten sein Ziel erreicht - die Menschen hatten sich für die Flucht entschieden. Nur sie selbst saß mit Dennis auf Thera fest, weil sie sich zu spät auf den Weg gemacht hatten.
Das Inferno ließ ihr keine Zeit für weitere Überlegungen. Der Wind trieb Asche und Bimsstein über die ganze Insel. Bald waren nicht nur die Täler, sondern auch die Berghänge davon bedeckt. Wenn sie zu lange warteten, würde selbst hier oben der Weg unter ihren Füßen verschwunden sein. Tief unten ließen in unregelmäßigen Abständen schwer aufprallende Felsbrocken den Boden erzittern. Konni wurde bewusst, dass die Auswirkungen der Katastrophe hier oben auf dem Berg nicht zu vergleichen waren mit den Verwüstungen unten im Tal. Die meisten größeren Geschosse aus dem Innern des Vulkans fielen zwar ins Meer, doch hin und wieder schlugen solche Vulkanbomben auch auf Basileia ein. Welche Zerstörungskraft mussten sie besitzen? Noch während sich das Mädchen dies auszumalen versuchte, knallte es nur wenige hundert Meter von ihnen entfernt!
„Wären wir doch niemals hierher gekommen!“, dachte Konni und rannte um ihr Leben.
Es gab nur noch eine einzige Möglichkeit, der Katastrophe heil zu entkommen: Sie mussten auf dem Berg ankommen, bevor Staub und Steine alles verwüstet hatten. Würden sie es schaffen? Oder würde der Vulkan sie töten, weil sie entgegen aller Vernunft bis zum Abend auf der Insel geblieben waren? Konni unterdrückte ein Schluchzen.
Rezensionen
Von Elke Nagel, Autorin, am 27.01.2012 um 16:48 Uhr
Aufregend guter Jugendroman!
Auch wenn ich aus Zeitgründen die überarbeitete Fassung noch nicht bis zu Ende gelesen habe, kann ich jetzt schon sagen: Dies ist ein aufregend guter Jugendroman, gründlich recherchiert, spannend geschrieben, realitätsnah und somit glaubhaft, nicht trocken-lehrhaft, sondern humorvoll und plastisch. Und durch die Fantasy-Verpackung wird er ein großes jugendliches Leserpublikum finden, da wäre ich mir sicher.
Sprachliche Überarbeitung ist auch nach dieser Revision (durch die das Buch sehr gewonnen hat!) noch nötig, aber leicht machbar. Dringend zum Lesen empfohlen!
Von Stefan Link, Autor, am 04.02.2012 um 17:34 Uhr
Gelungen ...
Ich mag ja solches "Geschichtszeug" :-)
Von daher habe ich reingelinst, obwohl ich eigentlich keine Jugendliteratur (mehr) lese.
Und was soll ich sagen, es ging mir wie damals, als ich die ersten Seiten des ersten Bandes von Harry Potter las:
Bei Potter brauchte ich ca. zwanzig Seiten, um mich an die, zumindest im ersten Band an Jugendliche gerichtete Sprache, zu gewöhnen. Hier war ich bereits nach fünf Seiten drin. ;-)
Was will ich damit sagen? Es ist "relativ" altersüberschreitend geschrieben. Man kann sich schön durchlesen ... und ruck zuck war ich auf Seite 50 und da war ich sehr überrascht.
Alles in allem ist es recht spannend gehalten und man schafft es leicht, bei der Stange zu bleiben.
Wenn ich überhaupt etwas auszusetzen hätte, dann an der "Grundmotivation" der beiden. Wenn man recht "scharf" liest (was ich hin und wieder tue :-) ), dann liest es sich vielleicht zu "gewollt" (dass sie eben den passenden Spruch finden und so). Ich hätte die beiden eventuell erst beim Durchstöbern des Buches auf Atlantis stoßen lassen und Konni hätte sich beispielsweise an die Schule erinnert und sie hätten sich dann spontan entschieden, ihren Trip dorthin zu veranstalten ... oder so ... aber da es Jugendliteratur ist, funktioniert es auch so recht gut, denke ich :-) Ich kann abschließend der Autorin nur raten, sich nach weiteren Optionen für dieses Skript umzuschauen;-)
Von Anja Ollmert, Autorin, am 17.01.2012 um 10:35
Für abenteuerlustige Kinder
Die Autorin entwirft in einer Sprache, die für Kinder deutlich zu verstehen ist, eine spannende Geschichte um das Ende der Insel, die wir als das geheimnisvolle Atlantis kennen. Die Charaktere der Kinder sind sehr unterschiedlich angelegt, wie das bei Geschwistern häufig der Fall ist. Dabei ergänzen sie einander auch durch die anders gelagerten Fähigkeiten und sie können vor allem auf die Unterstützung des anderen vertrauen.
Die Figur des Theresias gefällt mir besonders gut, denn der Alte hält ausufernde Monologe, während den Kindern die Zeit unter den Fingern zerrinnt. Sein Status als Seher und seine Prophezeiung zeigen noch einmal, dass wir häufig geneigt sind, den Boten zu strafen, der die schlechte Botschaft überbringt.
Die Kinder werden mit allen Schwierigkeiten spielend fertig, vielleicht auch, weil sie oft nicht lange überlegen, bevor sie reagieren. Trotzdem kommt deshalb keine Langeweile beim Lesen auf.
Ich denke, dass mir im Alter von 12 Jahren die Geschichte gut gefallen hätte. Die Kinder zeigen sich verärgert, wenn ihnen Dinge, die auf Thera geschehen, fremd sind, aber vor allem zeigen sie immer dort Mitleid und Empathie, wo gerade ihre tatkräftige Hilfe gebraucht wird.
Da ist zu keiner Zeit die Rede davon, dass Kinder nichts bewirken können. Aus dieser Sicht ist es eine Mut machende Geschichte, die zeigt, dass es sich lohnt, gelegentlich einzugreifen, auch wenn man damit rechnen muss, nicht ernst genommen zu werden.
Und zuletzt möchte ich sagen: Hut ab vor der Autorin, die sich wirklich mit der geschichtlichen und naturwissenschaftlichen Materie befasst hat, die sie detailgetreu einfließen ließ.
Danksagung:
Mein besonderer Dank gilt meinen beiden Betalesern U.Kossmann und J.David, die mein Buch durch viele Tipps, Kritik und Ideen auf großartige Weise unterstützt und in Zeiten der Stagnation voran getrieben haben.
Ein sehr herzliches Dankeschön auch an Herrn von Kracht von der minoischen Bibliothek, der mich mit seiner detaillierten Rezension dazu ermunterte, eine verbesserte Neuversion meiner Geschichte zu schreiben.
Von Hajo von Kracht am 08.02.2012 um 12:47 Uhr
In einem Satz: Ein schöner Plot, aus dem ein sehr gutes Buch werden kann, wenn noch Arbeit hineingesteckt wird.
Ich teile mein Feedback in vier "Dimensionen".
•Sprachliche Mechanik
•Äussere Story
•Innere Story
•Peripherie
1. Sprachliche Mechanik.
Dazu gehören neben Tipp- und Grammatikfehlern auch "leises Flüstern", überflüssige Füllwörter, falsch gesetzte Attribute, usw. Davon gibt es noch etliche im Text, und von den vier Dimensionen halte ich das im Moment für die schwächste. Der Vorteil ist, dass sich diese Dinge rasch beheben lassen.
Beispiele:
"Bereits die erste Buchseite enthielten außerordentlich seltsam klingende Verse" (s.33)
Ein Grammatikfehler, zwei Füllwörter und ein schwaches Verb in einem Satz ("Seltsam" beinhaltet dass etwas ausserordentlich ist, "klingend" ist überflüssig, und "enthielten" könnte man etwas lebendiger - und auf die Kinder bezogen - ausdrücken, aber das Letzte mag Geschmackssache sein).
2. Äussere Story
Damit meine ich, was den Kindern passiert. Gibt es Ungereimtheiten? Widersprüche?
Auch hier meine ich, es müsste noch mehr Sorgfalt im Kleinen aufgewendet werden. Ein Beispiel: Auf Seite 27 wird penibel aufgelistet, was die Kinder mitnehmen: "Außer Proviant hat sie noch Streichhölzer, eine Taschenlampe, Verbandszeug und eine Regenplane zusammengesucht. Dennis steckte noch für alle Fälle sein Fernglas und sein Notfallseil ein."
Auf Seite 58 stecken sie ihr Zauberbuch "in eine wasserfeste Hülle". Wo kommt die plötzlich (!) her?
Ein weiteres Beispiel: Auf Seite 51 kommen sie auf Thera an. "Sie standen genau an einer
kleinen Lichtung auf einem dicht bewachsenen Berg." Was auch immer es bedeutet, "genau an einer Lichtung" zu stehen, jedenfalls geht Dennis ein paar Zeilen weiter "näher auf die Lichtung zu". Es fällt mir schwer, mir die Örtlichkeit bildhaft vorzustellen.
Den besten und spannendsten Teil des Buches finde ich den Schluss, als die Kinder den Berg hinaufhasten, während die Katastrophe sich entfaltet. Davor dauert es lange, bis sich Spannung entwickelt. Ich hatte manchmal den Wunsch, dem Dennis sein Fernrohr wegzunehmen, dann müssten die Kinder sich nämlich direkter ins Gemenge begeben. Zumal das Fernrohr an einigen Stellen magische Eigenschaften zu haben scheint, denn es lässt Dennis nicht nur sehen, sondern - am Hafen - auch hören, und durchdringt - beim Tempel - auch Wände.
Was die grösseren Linien der "äusseren Story" angeht, glaube ich, sie funktionieren gut, mit einer Ausnahme: Der Untergang Theras wird von Theresias als Strafe Poseidons dargestellt. Ich bin mir nicht ganz klar, wer da wofür bestraft werden soll, aber auf Seite 115 sagt er "Ihr strebt die Macht über alle Meere an - doch allein Poseidon herrscht über den Ozean." - Und dann geht es um die Rauchopfer, die im Herrschaftsbereich von König Minos in Mode gekommen sind. Es geht also gegen König Minos. Allerdings wird auf Seite 138 erklärt, dass König Minos auf Thera "nur eine verhältnismäßig kleine Sommerresidenz hat" (und ist vielleicht nicht mal auf der Insel). Ich verstehe also nicht, warum Poseidon, der den Minos Mores lehren will, ihm eine kleine Sommerresidenz samt angeschlossener Insel zerdeppert. Wenn Thera keine wichtigere Rolle in Minos' Reich spielt, scheint mir das nicht ganz plausibel.
3. Innere Story
Damit meine ich, wie sich die Protagonisten entwickeln, wie sich ihre Emotionen und ihr inneres Erleben darstellt.
Auch hier ist das Highlight gegen Ende, mit dem Lehrspruch des Sehers und wie die Kinder ihn auf sich anwenden. Vorher sind die Charaktere - vor allem der des Jungen - nicht so scharf. Sie kabbeln sich, wie sich Geschwister kabbeln, aber es plätschert so vor sich hin. Ich gebe zu, dass ich nicht sicher bin, wie man für das von dir angestrebte Publikum schreibt, aber ich selbst würde mir wünschen, dass die Kinder in ihrer Entwicklung zwischen "vorher" und "hinterher" mehr Distanz zurücklegen. Vielleicht wäre es möglich, dass sie sich vorher etwas bösartiger streiten, und mit Hilfe des Sehers daraus lernen? Ich denke, auch Kinder können fies und gemein sein.
4. Peripherie
Damit meine ich die äusserliche Einbettung. In deinem Fall: ist der Vulkanausbruch sachlich plausibel, sind die historischen oder mythischen Bezüge stimmig? Du schreibst selbst im Nachwort, dass du dir dichterische Freiheiten herausgenommen hast, und ich halte das für in Ordnung. Ich sehe zwar viele der Dinge völlig anders als du (z.B. war Tiresias der berühmte Seher aus Theben - nicht aus Athen, und Theseus samt Minotaurus entstammen einem viel späteren Zeitalter), aber ich glaube, das tut der Qualität des Buches keinen Abbruch.
Ich freue mich auf eine Überarbeitung.